Der liebevoll und einfallsreich inszenierte Stummfilm wurde 1932/33 in Berlin gedreht und erzählt das im Schwarzwald angesiedelte Märchen vom „Kalten Herz“ nach Wilhelm Hauff. Aufgrund der politischen Geschehnisse wurde der Film, nach einer drastischen Kürzung, bis heute nie veröffentlicht.
Regie führte Karl Ulrich Schnabel, Sohn des Komponisten Artur Schnabel, der später ein bekannter Pianist und Klavierlehrer wurde. Sein Bruder Stefan Schnabel machte Karriere als Schauspieler in den USA, während Nebendarsteller Peter Diamand später zum Direktor des Edinburgh Festivals wurde. Der Schweizer Franz Schnyder spielte im Film die Hauptrolle, lange bevor er als Regisseur für Aufsehen sorgte. Es ist der einzige Film, in dem er als Schauspieler zu sehen ist.
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Der Film und seine Geschichte sind exemplarisch für viele Schicksale von Filmschaffenden, die wegen Nazi-Deutschland nicht mehr in Europa arbeiten konnten. Zudem ist er ein Unikat unabhängigen Filmschaffens aus dieser Zeit.
Inhaltlich hält sich der Film in seiner ursprünglichen Fassung viel näher an die Originalerzählung von Wilhelm Hauff, als die beiden nachfolgenden Verfilmungen von 1950 und 2014 oder der Adaption „Märchen in der Nacht erzählt“ aus dem Jahr 1981. Durch das Hinzufügen eines Rahmens, der die ursprüngliche Geschichte umfasst, gibt K.U. Schnabel dem Märchen sogar einen weiteren Sinn. Ein Satz, der in seinen Unterlagen geschrieben steht, beschreibt das Ende des Films sehr schön:
Eigentlich kennen sich Lisbeth und Munk am Ende gar nicht, aber das macht nichts.
Erst bei der später erfolgten Kürzung des Films wurde die Reihenfolge einiger Geschehnisse geändert.

Die Verfilmung von Karl Ulrich Schnabel ist die einzige Realfilmversion, in der die Hauptfigur Munk während ihrer Weltreise mit der Kamera begleitet wird.
Making of 1931-1933
Karl Ulrich Schnabel produzierte diesen Film aus eigenen Mitteln und mit viel Unterstützung aus seinem persönlichen Umfeld, schrieb das Drehbuch und führte Regie. Die meisten Schauspieler stammten vom Theater oder aus der Musik, so Franz Schnyder, der zusammen mit Stefan Schnabel in der selben Schauspielschule war, wie auch Elfriede Gärtner, die in dieser Zeit am Landestheater in Braunschweig spielte. Peter Diamand war ein Mitarbeiter von Artur Schnabel und wurde später Leiter der Edinburgh Festivals. Er spielte den Amtsmann.

Viel Einfallsreichtum und Improvisationsvermögen: K.U. Schnabel beim Dreh mit Franz Schnyder, unterstützt von zwei tatkräftigen Assistentinnen.
(Foto: Schnabel Music Foundation LLC)
Das Besondere an diesem Werk ist, dass es nicht von einem grösseren Studio produziert wurde, sondern es sich um ein unabhängiges, gewagtes Filmprojekt handelt, dessen Herstellung aufgrund fehlender finanzieller Mittel oft mit sehr viel Improvisation, Innovation und abenteuerlichem Erfindergeist bewältigt wurde.

Karl Ulrich hinter der Kamera, filmt die Szene, in der Kohlenmunk-Peter aus den Fängen des Holländer Michels fliehen will. (Foto: Schnabel Music Foundation LLC)
Viele Darsteller und Statisten konnte Karl Ulrich Schnabel über seinen Bruder Stefan Schnabel gewinnen. Dieser studierte zu dieser Zeit an der Schauspielschule von Ilka Grüning und Lucie Höflich im selben Jahrgang wie Franz Schnyder (*05. März 1910 – † 08. Februar 1993) in Berlin, wodurch dieser zu seiner ersten und einzigen Hauptrolle vor der Kamera kam, aber auch die argentinische Schauspielerin Juanita Sujo (*14. Juli 1913 – † 12. Juli 1961, siehe weiter unten) zu ihrer ersten Filmrolle als Mutter von Peter Munk. Dass die bekannte deutsche Schauspielerin Lilli Palmer nicht beim „Kalten Herz“ mitwirkte, hatte wohl lediglich mit Zeitmangel zu tun.

Franz Schnyder (rechts im Vordergrund) mit Statisten, die meisten wahrscheinlich aus Grünings und Höflichs Schauspielschule.
Denn Lilli Palmer war in der selben Klasse wie Sujo, Schnabel und Schnyder. In der Autobiographie „Dicke Lilli – gutes Kind“ schreibt Palmer zwar nichts von Stefan Schnabel und Franz Schnyder, aber dass sie sich stets nahe an Sujo gehalten habe, die schon damals eine talentierte Schauspielerin gewesen sei und eigentlich gar keinen Unterricht gebraucht hätte. Sehr eindrücklich schildert Palmer ihre Freundschaft zu Juanita Sujo und beschreibt die Stimmung in der Schauspielschule, und wie die beiden Lehrerinnen Ilka Grüning und Lucie Höflich ihre 24 SchülerInnen unterrichtet haben. Dass Lilli Palmer nicht im Kalten Herz mitgespielt hat, hat wohl lediglich damit zu tun, dass ihr Vater von ihr verlangte, parallel zur Schauspielschule – die sie freiwillig besuchen wollte – auch noch das Gymnasium zu absolvieren. So lernte sie vormittags während dem Gymnasium für die Schauspielschule, während sie am Nachmittag in der Schauspielschule fürs Gymnasium lernte. Die restlichen Hausaufgaben mussten abends erledigt werden und so verblieb kaum mehr Zeit für ein weiteres Engagement.
Am 23. April 1932 traten die SchauspielstudentInnen im Schubert-Saal an der Bülowstrasse 104 in Berlin zur Studio-Prüfungsaufführung an. Aufgeführt wurden Szenen aus unterschiedlichen Werken. Schnyder spielte Figuren aus Gerhard Hauptmanns „Rose Bernd“, „Cyprienne“ von Sardou und Najac, von der Presse wurde er aber besonders für seine Performance als Peer Gynt gelobt. Stefan Schnabel, Juana Sujo und Lilli Palmer standen an diesem Abend mit ihm auf der Bühne, ebenfalls in verschiedenen Rollen.
Weitere Infos über die Entstehung des Films in den Jahren 1931-33 erfahren Sie in den ausführlichen Berichten im Filmblatt oder im Burgdorfer Jahrbuch.
Drehorte
Gedreht wurde hauptsächlich in Berlin und Umgebung. Die Domäne Dahlem, heute ein Freilichtmuseum, diente als Aussenkulisse für die Gebäude im Schwarzwald.

Franz Schnyder läuft als Kohlenmunk-Peter im Film „Das Kalte Herz“ über das Gelände der Domäne Dahlem. Die Aufnahme aus dem Jahr 1932 zeigt das Pferdestallgebäude aus dem Jahr 1830. Der kleinere Bau ist das Stellmachereigebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Das Zuhause des Holländer-Michels wurde in der Sächsischen Schweiz eingerichtet, wo Franz Schnyder eine atemberaubende Kletterpartie auf der Flucht vor dem Holländer-Michel hinlegt.
Gemeinsam mit Franz Schnyder machte sich Karl Ulrich auf eine Reise, die unter anderem durch Italien (Urbino, Verona, Certosa) und durchs Tessin (Aquila) führte. Während dieser Reise wurden die Aufnahmen für die freudlose Odysse des Kohlenmunk-Peters gemacht. Einige Aussenaufnahmen entstanden zudem am Comersee und im Schwarzwald. 83 Jahre später, nach der Deutschlandpremiere des Films, stiessen wir per Zufall und auf dem Weg zum Schlummertrunk stiessen wir – eine knappe Minute vom Zeughauskino in Berlin entfernt – auf einen Drehort:

Drehort-Vergleich: Franz Schnyder besucht als Peter Munk während seiner herz- und lustlosen Reise den Lustgarten (beim Alten Museum / Berliner Dom 1932).
Ende Juni 2017 hatte Raff Fluri die Gelegenheit, Ann und François Mottier-Schnabel am Comersee zu besuchen. Gemeinsam mit Britta Matterne von der Schnabel Music Foundation LLC. reisten sie zum, um und über den See und entdeckten dabei Originalschauplätze aus dem „Kalten Herzen“.

In seiner Weltreise fährt Peter Munk auf einem Schiff an einem italienischen Dorf vorbei. Es handelt sich dabei um Argegno. Die beiden Gebäude links im Bild sind noch ziemlich im Originalzustand belassen. Fotos: Raff Fluri
Viele Schweizer Zuschauer hatten das Gefühl, im Film den Niesen gesehen zu haben. Sie müssen wir leider enttäuschen: Auch dieser Berg ist am Comersee zu finden.
Bei Aufräumarbeiten im Keller fanden Ann Mottier-Schnabel und Britta Matterne Originalgegenstände, die Karl Ulrich Schnabel beim Dreh von „Das Kalte Herz“ verwendete. Nebst Scheinwerfern kamen auch Schachteln und Spulen zum Vorschein, in denen das belichtete Filmmaterial zur Entwicklung geschickt wurde. Auf einer kleinen Spule ist ein kurzer Filmschnipsel aufgerollt, der Landschaftsaufnahmen vom Comersee zeigt.
Cast & Crew
Während der Recherchen stiessen wir immer wieder auf neue Spuren und Erkenntnisse. So ist ziemlich sicher, dass die Schauspielerin Ilka Grüning, bei der Franz Schnyder, Juana Sujo und Stefan Schabel in der Ausbildung waren, sowie der bekannte Kameramann Fritz Arno Wagner in beratender Funktion am Set gewesen sind. Folgende Schauspieler wurden bisher identifiziert:
Schauspieler: Franz Schnyder als Peter Munk, Stefan Schnabel als Holländer-Michel, Wolf-Wolfgang Guth als das Glasmännlein, Elfriede Gärtner als Lisbeth, Juana Sujo als Munks Mutter, Peter Diamand als Amtsmann, Rudolf Arnst als Ezechiel, Franz Meisner als Wirt, Gustav Stüdemann als Tanzbodenkönig, Fritz Blumenfeldt als Geldverleiher, Leonard Shure als Bettler, sowie die Musiker Maurice Zam und Aube Tzerko.
© Raff Fluri